Capital S
The Tower Of Power – Ohne Filter (DVD)
Annähernd 40 Jahre bereist diese Band un die Straßen der Welt. Für einige ist TOWER OF POWER die professionellste Kapelle auf dem Markt, für andere handelt es sich bei der Gruppe schon deshalb um ein Museumsstück, da kaum eine Band die hohe Kunst des Überlebens so beherrscht wie sie und daher den Rang eines exotischen Exponats einnimmt.
Für wieder andere ist TOP aber schlicht: die Band mit dem wohl packendsten Funk auf Erden.
„Synkope [griech., wörtlich »Zusammenziehen, Verkürzen«]: die Verlagerung des Akzents einer betonten Taktzeit auf die vorangehende, eigentlich unbetonte Taktzeit. Synkopierung setzt die metrische Betonungsfolge des Takts voraus. In der populären Musik muß also die taktgebundene Synkope (europäische Tradition) von der Offbeat-Phrasierung in beatgebundenen Stilarten (afroamerikanische Tradition) unterschieden werden. Synkopen finden sich z.B. in Polka und Ragtime.“ [DigitaleBibliothek Sonderband: Handbuch der populären Musik, S. 2764 (vgl. HdpM, S. 522)]
Ja, so steht’s geschrieben, in jenem Pop-Lexikon. Wem das zuwenig Fleisch hat, dem sei eine gute Portion TOWER OF POWER zu servieren: einmal das Synkopen-Spezial. Dieses Tablett hätte jedenfalls den Effekt, dass das Wesentliche der Sache gelernt wird: der Spaß. Synkopen sind der Witz des Funks, und TOP hat da einige Gute auf Lager.
Ein erster Blick auf die Playlist der DVD zeigt, dass das TOP-Livekonzept auch hier greift. Einige der „All-Time-Standards“ der Band sind beisammen:
01 Strokes 75
02 Souled Out
03 I Like Your Style
04 You Strike My Main Nerve
05 East Bay Way
06 Soul Vaccination
07 What Is Hip?
08 Squib Cakes
09 Diggin‘ On James Brown
10 Soul With a Capital „S“
11 So I Got To Groove
Was auf dem Cover aber fehlt, ist die Besetzungsliste. Gerade bei einer Band, die sich gelegentlich umbesetzt, erscheint dies besonders misslich. Aber ganz generell mag ich draußen gerne sehen, wer mich drinnen erwartet. Unglücklicherweise scheint sich das Verschweigen der Akteure bei einigen DVD-Reihen einzubürgern.
Viele Mitschnitte – gerade aus Konzertserien wie „Soundstage“ etc. – geben detailliert Auskunft über Beleuchterriege und Druckwerkstatt, aus der das Inlay stammt, nicht aber über diejenigen, die in der Band oder neben den namhaften Sangeskünstlern an den Instrumenten stehen.
Hat man die DVD im Player, kommt man im vorliegenden Fall letztlich doch an die gewünschte Info.
Die wackeren Turmbläser sind diesmal:
Emilio Castillo (Tenorsaxophon, Lead- und Background-Gesang),
Norbert Stachel (Tenorsaxophon),
Stephen ‚Doc‘ Kupka (Baritonsaxophon),
Jesse McGuire (Trompete),
Bill Churchville (Trompete),
Zu ihnen gesellen sich:
Brent Carter (Gesang),
Jeff Tamelier (Gitarre),
Nick Milo (Keyboards),
Francis Rocco Prestia (Bass),
David Garibaldi (Schlagzeug).
Warum ich die Bläser zuerst nenne? Immerhin handelt es sich um eine weit gereiste und immer wieder weitergereichte Hornsection, die gerne auch mal ein paar Scheine auf dem offenen Markt dazu verdient.
Zu den Arbeitgebern der Horns gehörten Little Feat, Elton John, Huey Lewis, Phil Collins, sogar die Stones wollten sie. Klar, nicht gerade immer genau diese Besetzung, denn in fast vierzig Jahren verändert sich gerne mal etwas.
Castillo und Kupka aber waren dabei. Schon immer.
1968 heben die beiden TOP aus der Taufe. 1970 spielen sie mit der Band die erste Platte ein. Und seit dem gibt es TOP-Sound und TOP-Stil. An denen hat sich bislang kaum etwas geändert. Und viele der alten Titel stehen auch heute noch auf den Live-Playlisten. Wobei es sich – nebenbei bemerkt – um Konzertereignisse handelt, die in der Regel deutlich länger sind, als die auf dieser DVD konservierte Stippvisite – aber da spielt sicherlich das TV-Sendeformat die Hauptrolle bei der Rahmengebung.
Die Atmosphäre, welche die DVD verbreitet, ist einigermaßen steril. Man merkt das Fernsehstudio in jeder Einstellung. Auch das Publikum scheint ein wenig von dieser Umgebung aufgenommen zu haben. Und dennoch – und dies ist das Erstaunliche – schlägt der Funk Funken. Kompakte, klare, präzise Bläsersounds. Elektrisierende Rhythmik. Ein FUNKtionierendes Team. Die typische TOP-Rezeptur.
James Brown wird oft der „Godfather des Soul“ oder des „Funk“ genannt; hier sind mindestens dieses Gottes Stellvertreter auf Erden am Werk: Soul Fascination. Eine Botschaft über die Musik hinaus freilich gibt es hier nicht. Aber diese Musik reicht hinlänglich als solche.
TOP ist der Funkliebling vieler Musiker. Musician’s musicians. Aber der „Turm“ ist auch eine Showkapelle, die live mit den gängigen Animationsingredienzien operiert. Dass die Rolle des Animateurs für Musiker nicht ad ultimo durchzuhalten ist, zeigt sich für mich auch beim Betrachten des „Ohne Filter“-Konzerts. Einige der Recken wirken leidlich ferngesteuert. Bedingte Reflexe. Inkarnierte Abläufe. Kalkulierte Possen. Das muss für mich nicht unbedingt auf die TOP-Bühne – solange die Antwort auf die alte Frage „What is hip?“ so unwiderlegbar gegrooved wird, wie auch hier wieder auf der DVD.
Aber vielleicht ist diese Animation auch nur einfach als Teil des Ganzen, als sympathische Macke, als integraler Ritus zu nehmen – ähnlich wie die Bühnenzusammenbrüche des genannten Jaaaaaaaames Brown. Dem auch auf dieser DVD wieder einmal das Turm-Denkmal gesetzt wird. Und hat man „Diggin‘ on James Brown“ auch schon dutzende Male gehört – es macht doch immer wieder Spaß.
Der TOP-Soul ist immer noch „Soul with a capital ‚S'“ – da nimmt auch kein Fernsehstudio wirklich etwas weg.
Richtig. Es ist schade, dass bei dieser Veröffentlichung nicht mehr Wert auf das „Drum und Dran“ gelegt worden ist. Und dass der letzte Titel dann auch noch ausgeblendet wird, ist wirklich keine Empfehlung für diese Produktion, TV-Sendeformat hin oder her. Auf der Bühne wurde ja schließlich auch nicht ausgeblendet.
Die musikalische Essenz des „Kraftturms“ ist trotz allem unbeschadet vorhanden.
Da es DVD-Material dieser Band hierzulande nicht im Übermaß gibt, empfehle ich, sich dieses Silberlings einmal anzunehmen. Wer TOP bereits kennt, wird seinen Spaß haben. Wer nicht, lernt im geringsten Fall etwas über Synkopen.
Und das ist doch schon mal was.