Karikatur - Johanna Pietrek

Hausmacher

Ich entstamme einer Familie von Hausmachern. Leute, die ihren Kuchen oder die Marmelade nicht selbst machten, wurden von uns höchstens mit einem nasalen Gruß ohne Blickkontakt bedacht – wenn man ihnen auf der Straße schon nicht aus dem Weg gehen konnte.
Meine Kaumuskeln sind gestählt durch jahrelanges Training an Vollkornbrötchen aus dem heimischen Ofen.
Meine Fäustlinge für den Winter waren selbstgehäkelt und fanden im Sommer als Topflappen Verwendung. Und in den Siebzigern hätte ich mit selbstgebatikten T-Shirts gleich mehrere Verhüllungsprojekte von Christo ausstatten können.
Aber von einem ließ meine Familie stets die Heimwerkerfinger: vom Weinmachen. Schließlich lebten wir am 52. Breitengrad. Und: es war halt nur Wein.
Doch das war einmal. Damals, als auf den Familienfeiertafeln der Gegend diese klobigen Minigoldfischgläser mit grünem Rippenschaft und Wappendekor bereit standen, um mit Krötenbrunnen oder Amselfelder befüllt zu werden. Die siehst du heute nicht mehr. Dafür jede Menge Riedel und gelegentlich ein paar Zalto. Wein ist nicht mehr Irgendwas. Wein ist in den Zeitungen. Wein ist im Fernsehen. Kein Depardieu, Sting oder Pitt, der nicht durch ein kleines Weingut an Glanz und Größe dazugewinnen könnte.
Das macht nachdenklich. Das verlockt. Ein wenig Glanz und Größe hätte man ja auch gern selbst. Gerade am 52. Breitengrad.
Nicht dass du denkst, meine Familie zöge jetzt Phoenixreben im Garten – zu wenig Platz bei all den Kartoffeln, Kürbissen, Karotten. Aber ein paar der tourismusschwächelnden, von Rübenäckern oder alten Bergwerken umzingelten Gemeinden suchen ihr Heil im Weinbau. Das peppt die Kommune auf, schafft ein echt crazy Lokalkolorit.
Hinter dem Rathaus oder auf einer Abraumhalde lässt sich immer ein Plätzchen für einen Wingert finden.
Wen juckt ein Sauklima, wenn man Imagepfleger hat. Rasch ein tourismuskompatibler Eventkalender rund um den Instant-Weinberg gezimmert, die passende Weinfolklore kreiert und ein paar Ratsherren in lustige Kostüme gesteckt; dann musst du nur noch oft genug von streng limitierten Weinen sprechen und schon will dich das Frühstücksfernsehen. Wo du natürlich nicht erwähnen darfst, dass sich die Limitation nicht allein auf die Menge des Weins bezieht. Voila: Glanz und Größe für die Kommune. Und natürlich ein neuer Busparkplatz für die Touristen.
Versteh mich nicht falsch. Klar soll jeder Wein machen dürfen. Von mir aus auch im Torfmoor. Es sollte aber um mehr als drei Minuten im TV oder Facebook-Likes gehen.
Es sollte so sein wie bei Wolfgang Faßbender, Carsten und Stephan Henn, Michael Herr und Torsten Goffin, die als Journalist, Gastro-Kritiker, Schriftsteller, Softwareentwickler oder Drehbuchautor auch keine typischen Weinmacher sind, sich aber dennoch im halsbrecherischen Steilhang über der Mosel ihren wurzelechten, über 50 Jahre alten Rieslingstöcken widmen.
Lange schon arbeiteten sie mit Wein. Theoretisch, analytisch, poetisch. Doch irgendwann drängte es sie alle zur Praxis, zur „vinologischen Jamsession“ im Steilhang, wie Torsten Goffin es nennt.
Eine Session, in die im Keller der Winzer Uli Stein einsteigt.
So entsteht seit 2010 ein einzelnes Fass Riesling im Jahr: der „Mannwerk“. Der als 11er der perfekte Aschermittwoch-Gegenspieler ist. Einer, der dich gute Vorsätze fassen lässt. Der dich mit seiner mineralisch-fruchtigen Art und heiterem Spiel dazu bringt zu glauben, dass deine Autowerkstatt anruft und doch nicht die ganz Auspuffanlage hinüber ist, sondern nur eine Schelle nachgezogen werden muss.
Und mit dem letzten Schluck brüte ich, wie es wohl wäre, wenn imagesuchende Gemeinden aus den Korn- oder Kohlegürteln sich brachliegende Parzellen in echten Weingegenden schnappten und sich zu Mannwerkern eigener Art machten.
Ihre Kostüme und Eventkalender könnten sie ja behalten und wer sagt, dass man nicht auch so ins Frühstücksfernsehen kommt. Wenn man unbedingt will …

Andreas Bürgel
Erstveröffentlichung: VINUM, Januar/Febr. 2014.
Illustration: Johanna Pietrek