Guter Rat
«Schenk dem Kurt doch was zum Lesen. Über Wein. Einen Ratgeber», hatte meine Frau empfohlen.
Ratgeber. Ich weiss genau, was du denkst.
Wanderst du im Buchladen die entsprechenden Regale ab, startest du bei «Die Siebenminuten-Heilung. Schnell genesen bei Alzheimer oder Vampirismus», gehst vorbei an «Mächtig reich über Nacht. Die geheimen Mantras der Aktien-Tycoons» und «Kartoffeln richtig kochen ohne Reue»; dann, nach etwa 10-15 Metern, triffst du auf «Was würde Elvis tun. Sozialethischer Leitfaden für die Praxis», und zum guten Schluss landest du bei «Zum Weinversteher in 48 Seiten».
Ja, natürlich würdest du unter normalen Umständen nichts davon mitnehmen.
Es sei denn, du suchst einen Ablageartikel.
Ratgeber gehören zur Premiumklasse der Ablageartikel. Einzig geschaffen, um verschenkt und dann vom Beschenkten geradewegs auf dem Geschenketisch abgelegt zu werden. So wie Stoffservietten, Bildkrawatten oder der aufziehbare Teebeutelpinguin, dessen Kunststoffschnabel nach gewünschter Zeit den daran befestigten Beutel ratternd aus der Tasse zieht. Oder das Plastik-Ei, das mit seinen hühnerproduzierten Miteiern im Wasser schwimmt um mit einem krächzenden «Hard as a rock» das Ende der Kochzeit anzumahnen. Geschenke der Wahl für Leute, zu denen dir partout nichts einfallen will; Artikel, die lediglich existieren, damit du nicht mit leeren Händen zu einer Einladung auflaufen musst.
Und damit du nicht knauserig erscheinst, sind Ablageartikel zur Sicherheit gerne hochpreisig.
Das Preisschild darf an prominenter Stelle kleben bleiben; der Beschenkte soll wissen, wie lieb und teuer er dir ist.
Der Sinn solcher Geschenke? Ach je, das ist halt so ein Wertewandelding: Beschenkte müssen sich nicht mehr freuen. Vorrangig ist die Entlastung des Gastes; Bringschuld und alles. Und wenn du dich mal eine Weile im Eingangsbereich irgendeines Stehempfangs herumdrückst, erkennst du, dass diesbezüglich längst alles protokollarisch geregelt ist: Du übergibst den Ablageartikel mit der linken Hand, während deine rechte jovial den Oberarm der annehmenden Person knetet; die steuert ihrerseits ein «Oooh» oder ein «Doch nicht nötig» bei und führt den Artikel der Ablage zu. Ende der Zeremonie, Beginn eines soliden Sockels der nächsten häuslichen Müllhalde.
Natürlich ist ein Geschenk, über das man sich freut, immer noch grundsätzlich möglich. Im Zweifelsfall sogar einem Ablageartikel vorzuziehen. Allerdings setzt das zumindest zarte Keimlinge von Interessen oder ein Hobby bei der Zielperson voraus. Und Kurt, unser Einladender, hat nachweislich weniger Interessen als eine Wäschespinne. Du findest leichter Eisbein auf der Karte eines Sushi-Restaurants, als ein Freugeschenk für Kurt.
Kurzum: ich hörte auf meine Frau, kaufte dem Kurt einen Wein-Ratgeber. Das gedruckte Pendant zum Frühstücksfernsehen, ein Feuerwerk toller Tipps: Rotwein darf auch zu Fisch; Weisswein mag Käse; Salz ist keine Erfindung gegen Weinflecken; süsse Weine sind nicht uncool; Barrique liegt nicht in Bordeaux; die richtigen Rebsorten gegen den Herzinfarkt. Das Ganze selbstredend im Übergrossformat, mit Fotos, in dessen Hochglanz sich die überschaubaren Textanteile sonnen. Die 69,50 entbinden rein preislich von der lästigen Suche nach weiteren Gastgaben.
Selbst Schuld, Kurt. Was bist du auch so ein Passivcharakter, Stumpfmodell, Mattleuchter.
Jedem das seine.
Das Klingeln der Haustür reißt mich aus dem Brüten, kündigt Gäste an; liebe Freunde.
Ein kleines Essen, es gibt was zu feiern.
Der gute alte Erwin macht den Anfang, mit herzlichem Lächeln. «Mein Bester», begrüsse ich ihn. Dann spüre ich seine rechte Hand meinen Oberarm durchkneten, seine linke schiebt sich mir entgegen. «War doch nicht nötig», murmele ich, nehme den Weinratgeber entgegen und trolle mich zum Geschenketisch.
54,90 krakeelt das Preisschild auf dem Umschlag.
«Halt die Klappe», blaffe ich es an.