Karikatur - Johanna Pietrek

Fotosynthese à la mode

«Das hier war deine Idee und diesen vino della casa hast du selbst bestellt.» Meine Frau wirkt, wenn ich es recht betrachte, mit den hochgezogenen Augenbrauen und dem auf dem Tisch morsenden Zeigefinger nicht restlos ausgeglichen.
Gut, es war meine Idee, für eine Pizza auf die Schnelle in dieses Ristorante zu gehen. Aber trotzdem werde ich doch wohl bei der Bedienung nachfragen dürfen, welches Tonikum den persönlichen Wagemut derart stärkt, dass man die Offensivbeize in unseren Gläsern als «ehrlichen Haustrunk» empfiehlt. Und als ich hinzufügte, dass «ehrlich» in Verbindung mit dieser Plörre eigentlich nur mit Erläuterungen wie «ehrlich übel» oder «ehrlich unverfroren» zulässig sein dürfte, lächelte ich.
Gütig.
Meine Frau schien dennoch nicht zufrieden.
Auf jeden Fall aber führte meine kleine Einlassung stante pede zu einem neuen Wein in unseren Gläsern. Einem 09er Le Ragose Valpolicella Superiore Ripasso, der nun mit seinen lederbefransten, gekräuterten und tabakverwickelten reifen, dunklen Steinfrüchten eine ziemlich gute Figur macht.
Gäste besetzen den Nachbartisch. Ich höre, wie einer erklärt, dass es sich beim Padrone um eine echte Legende handelt. «Und sein Hauswein! Den müsst ihr probieren.»
Ich schweige unter dem warnenden Blick meiner Frau, lasse meinen wandern bis er Rast an einer mächtigen Fotowand einlegt: der Padrone mit einem Politiker im Arm, der Padrone mit einem Fußballer, einem Schlagersternchen, einer TV-Wetterfee.
«Da schau her – die Legende», grinse ich.
«Moderne Fotosynthese», kommentiert meine Frau. «Lass dich mit einer Grösse fotografieren, und deine schlappe, runzlige Aura bekommt ein magisches Facelifting samt Brust- und Bizepsstraffung.»
«Mit einer Grösse fotografieren», spotte ich und zeige auf das Foto des Padrone mit dem Landesmeister im Luftgitarrespielen. «Jeder, der ein Ei in die Pfanne schlagen kann, gilt als Selbstversorger und wer seinen Internetblog mit einem Fehlerquotienten von unter 50% hinbekommt, als begnadeter Autor. Grösse ist nur eine Frage der Gemeinde, die du mobilisierst.»
«Trotzdem wirkt sie magisch», erklärt meine Frau. «Ist wie bei Reliquien: was das Original berührt, wird zur Reliquie zweiten Grades, die dann wieder über Berührung den Drittgrad erschafft. Würde der Padrone den DJ BoBo umarmen – der würde pronto zum DJ zweiten Grades. Und sein Haustrunk mithin logisch zum Drittbobo. Du musst nur dran glauben. Ist aber ganz leicht, wenn du BoBo-Fan und Stammgast beim Padrone bist. Problematischer freilich, wenn du mehr auf Chopin stehst – denn den hat der Padrone beim besten Willen nicht vor die Kamera kriegen können. In dem Fall bleibt Padrones Roter für dich ein mustergültiger Magenbrenner und der Padrone selbst … na, du würdest woanders essen.»
«Erinnerst du dich an den, der sich andauernd mit Tour-de-France-Fahrern fotografiert, für seine Facebookseite? Wurde letztes Jahr zum Vorsitzenden des Sportvereins gewählt, obwohl der nur ein Klapprad hat und mit seinen 98 Kilo bei 1,72 lichter Höhe darauf so dynamisch wirkt, wie ein Sitzsack.»
«Vorbildlich! Und wenn du dich oft genug mit Winzern im Arm fotografierst, denen der Fluchtreflex nicht allzu deutlich ins Gesicht geschrieben steht und das auf Facebook liken lässt, kannst du dir lang und breit Termine für Einladungen zu Cru-Proben freihalten.
Legst du noch eine zweite Fotoserie auf, die dich mit 82er-Lafite- oder 61er-Latour-Flaschen in der Hand zeigt – können auch geliehene sein – ernennen sie dich schneller zum Experten auf Lebenszeit, als ein Anlageberater „Dividende“ sagen kann».
«Ist schon schräg, dieser Fotozauber. Und muss obendrein kolossal anstrengend sein», schüttle ich den Kopf. «Du kommst vor lauter Posen zu nichts anderem.» Ich schenke ein.
«Valpolicella», sinniert meine Frau, «ist übrigens wieder absolut im Kommen.»
«Echt jetzt?», frage ich. Wir schweigen eine Weile.
Dann greife ich nach der Flasche und werfe meiner Frau das Handy zu.
«Mach mal’n Foto.»

Andreas Bürgel
Erstveröffentlichung: VINUM, Juni 2014.
Illustration: Johanna Pietrek