Kafffe

Weltfrieden

Das Autoradio verstummt mit dem Abdrehen des Zündschlosses, würgt eine engagiert geführte Diskussion über Friedenschancen in Nah-, Fern- und Mittelost ab.
Rasch noch etwas für’s Wochenende einkaufen. Die Schlange beim Schlachter ist überschaubar, ich stelle mich an.
„Zwei von den Weißwürstchen“, wünscht sich die Kaufbürgerin vor mir.
„Weißwürste waren letzte Woche“, weiß die Thekenkraft der Schlachterei.
Die Kundin vollzieht eine Kopfrechtsdrehung in meine Richtung. Ein Brillenmonument hält ein buntgeblümtes Kopftuch auf Abstand zu einem Gesicht, das wie aus einem Hippie-Zelt daraus hervor lugt. „Ja, was sagt man dazu“, intoniert sie eine aufsteigende Sprachmelodie. Doch bevor mir etwas dazu einfallen kann, richtet sie das Zelt wieder gen Theke aus. „Stand doch draußen auf der Tafel. Schlesische Weißwurst. Deshalb bin ich hier.“
„Ja, stand da. Letzte Woche. Diese Woche ist Schlachtplatte.“
„Schlachtplatte stand da auch drauf.“
„Ja, steht immer noch. Aber Weißwurst nicht.“
„War aber.“
„Nicht diese Woche.“
„Ich bin doch dran vorbei gegangen. Weiß doch, wo ich dran vorbei gehe.“
„Letzte Woche.“
„Sie meinen, ich bin blöd?“
„Wenn Sie darauf bestehen, stand da halt Weißwurst.“
„Na bitte.“
„Wenn Sie meinen …“
„Jeder macht mal Fehler“, entschuldigt die Kundin nun großmütig die Thekenkraft. „Sie hatten einfach zu wenig. Zu wenig Weißwurst, nicht wahr?“
„Nein, war genug. Letzte Woche. Aber selbstverständlich – jeder macht Fehler, kommt halt vor, in ihrem Alter. Nehmen Sie halt die Bouillonwurst, oder die …“
Die Hände der Kundin stützen sich auf den gewölbten Glastresen. Das Gesicht schaut immer noch aus dem Blümchentuch, doch jetzt wirkt das Ganze eher wie ein Pitbull unter einer Wäscheleine.
„In meinem … was!?“
Ich wende mich ab. Im Hinausgehen höre ich noch, wie die Kundin kreative Vorschläge über die Verwendung der Bouillonwurst seitens der Verkäuferin macht, während diese wiederum sich nach dem Verbleib vermuteter Pfleger der Kundin erkundigt und ihr anrät, doch wieder den Rückzug in ihre Anstalt anzutreten. Dann steigen andere – mal zugunsten dieser, mal jener Seite – ein, der Lärm greift munter Raum, während die Kommunikationstechnik sich zunehmend verschiedener Urlaute bedient.
Was soll’s. Heute gibt’s halt nichts vom Schlachter. Ich schlage die Autotür hinter mir zu.
Das Radio erwacht mit der Zündschlossdrehung, hat immer noch keine Lösung für den Weltfrieden – es geht eben ständig und überall um die Wurst. Ich beschließe, das Einkaufen abzukürzen; Wein ist glücklicherweise genug im Haus.
Dort angekommen greife ich mir einen Schiefer Kastanienbusch vom Peter Siener und die Ellergrub vom Gernot Kollmann.
Ganz eigene Charaktere, diese beiden.
Ein wenig: Coleman Hawkins und Lester Young. Irgendwie.
Aber – sie vertragen sich, kannst du mir glauben.
Und das gar nicht mal schlecht.

Andreas Bürgel
Oktober 2014
Siener Kastanienbusch 2011 / Immich-Batterieberg Ellergrub 2011