Biologik
«Und dann … zwei Scheiben vom … Rahmgouda. Ja, und noch vier vom Appenzeller. Aber schön dünn. Und so reicht mir das.»Vier Scheiben für ein Halleluja! Das hat gedauert.
Versteh mich nicht falsch, ein Käsewagen ohne Auswahl nimmt nur Parkplätze weg und hoch lebe der bunte Käseteller zum Abendbrot; aber das Scheibensortiment Edamer, Danbo und Butterkäse ergibt erstens das Käsependant zu einer mühsam inszenierten Talkrunde zum 36teiligen Kochmesserset im Shoppingkanal – da rettet der Appenzeller «schön dünn» die Vielfalt wie die Verschiebung meiner Spareinlagen nach Athen die griechische Wirtschaft. Und zweitens erweckt so eine Scheibenorgie in der Warteschlange sicher nicht den Wunsch, Liebe zu schenken. Zumal der Käsemann vor jedem Dreischeibenschnitt die Laibe ent- und hernach behutsam wieder verpackt.
Die Schlange hier ist routiniert; verharrt in trügerischer Katatonie und bedenkt den Abgang der Scheibenkäuferin nur mit stummen Verwünschungen; spart Kraft für lohnenderen Einsatz.
«Der ist Bio; können Sie die Rinde mitessen», informiert der Käsemann, mit einem Laib wedelnd, die zur Pol-Position der Schlange aufgerückte Dame. Die hält ein «Gehnse weg mit Bio» dagegen, und belebt so prompt die Schlange. Kollektives Nicken, ein «hört, hört!», vereinzeltes «E-10 Sprit»-Gezische. «Ist auch nicht gesünder» protestiert ein spitzbauchiger Jungmann, «und teuer» bemängelt eine Frau mit Prada-Täschchen. «Möchte nicht wissen, was die Ökos auf die Äcker schütten» raunt mir jemand zu. Weiter hinten stöhnt irgendwer «Energiesparbirnen», was mit «Sojaschnitzel» und einem angeekelten «überall freilaufende Hühner» belohnt wird. Strahlende Gesichter nun allenthalben in der Schlange, Einigkeit auf dieser Seite des Tresens: hierfür lohnt der Einsatz.
Das «Aber lecker», des Käsemanns, der immer noch seinen Biokäse hält, muss sich zwischen all den Schmählauten fühlen, wie ein in einem U-Bahnschacht zur Rushhour ausgesetzter Welpe.
«Den Bio gibt’s doch bestimmt auch in Normal? Wär dann ja billiger.»
«Den gibt’s nur so. Aber ich geb‘ Ihnen den halt günstiger», Rabatt zieht immer. Sonst hätte kein Mensch eine Hochzeitsrücktrittskostenversicherung oder einen Tischspringbrunnen, der aus einem 15 Millimeter-Lautsprecher Händels Wassermusik krächzt. Das weiss der Käsemann. Und die Kundin offenbar auch: «Na dann in Gottes Namen drei Scheiben vom Bio. Und dazu … drei Scheiben Emmentaler, drei vom …»
Während die Schlange wieder in feindselige Starre verfällt, kneife ich mich unauffällig. Ist das wirklich passiert? Ein Bio-Bashing wie zur Jutetaschen- und Wollsockenzeit? Glaubt mir keiner. Ist Geschichte. Sowas gibt’s nicht mal mehr in der Weinwelt, und da tobten legendäre Kämpfe um Bio. Heute wirtschaften gestandene Winzer bio, stellen Verbesserungen von Rebphysiologie wie Böden fest und sprechen von einer klareren Individualität ihrer Weine. Einer sagte mir mal lächelnd, dass Bio weder sein Karma noch die Welt verbessert habe – wohl aber seinen Wein. Und auch die Kundschaft sieht das Thema mittlerweile locker: was zählt, ist Qualität – und da mischt Bio inzwischen ganz vorne mit. Also schüttele ich – wie ich es von meinen Hunden gelernt habe – die Szene ab und warte, bis sich der Käsemann mir zuwendet.
Am Abend ziehe ich die neuen Domaine de l’Horizons auf. Schwiegervater stellt frisches Brot zum Käse, erzählt vom Tag. Mit dem 12er l’Horizon blanc wird das Ganze zum Abendidyll.
Der jugendliche Stoff zeigt heiteren Tiefgang, addiert eleganten Schliff hinzu. Detaillierte Selbstdarstellung, selbstbewusst ohne zu protzen.
Der Rouge: kontrollierter Wahnsinn. Verwandelt mal eben die Zunge in eine Schiffsschaukel. Ein Aufwiegler, so forsch und entschieden wie authentisch und stimmig. Waschechte Roussillon-Trophäen, alle beide.
Sicher zukünftige alte Bekannte.
«Bio sind die», sage ich nebenbei und Schwiegerpa quittiert mit einem «Ahaaa», brütet eine Weile über seinem Glas.
Dann schaut er auf: «Und gibt’s die auch in Normal?»